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Sensor ist nicht nur der Name des in dieser Besetzung seit 2001 spielenden Berliner Elektro-Rock-Trios, sondern zugleich die Bezeichnung eines spezifischen elektronischen Geräts, das eigens für Bandgründer Thomas Wagner entwickelt worden ist. Mit dem SENSOR - der Duden sagt auch "Meßfühler" dazu - lassen sich die Tonhöhen des Sequenzers per Handbewegung beeinflussen. Zudem hat der Performance-erprobte Sänger, Texter und Multiinstrumentalist einen Midi-Tonabnehmer auf seiner Gitarre installiert, mit dem er Synthesizer ansteuern kann.

Auch der Bassist Thomas Trenkel spielt mit den Möglichkeiten moderner Elektronik. Er schickt seinen Bass zeitweise durch einen modularen Synthesizer, der den Sound "zerhexelt" oder spielt Bass mit einem Joystick.

Auf diese Weise passiert bei SENSOR live mehr als bei einem reinen Elektronik- oder Rockkonzert. Synthetische Klänge werden teilweise körperlich erzeugt und in einen klassischen Bandzusammenhang gestellt.

Immer wieder zeigt sich Thomas Wagner als gewandter Erzähler, der mit seinen Sprachspielen und seinem Humor gesellschaftliche und soziale Phänomene trocken auf den Punkt bringt.

sensor bringen dem Synthi das Rocken bei und entlocken der Wanderklampfe Elektrobeats.

 


berliner morgenpost, 01.10.04

Sie haben eine Mission: Weltverzauberung
Die Berliner Rockband Sensor will auf keinen Fall Zeit verplempern
Von Johanna Merhof

Es gibt Bands, die sind mehr als nur Geschrammel. Sie sind ein Gesamtkunstwerk. Sie haben ein Markenzeichen, das sie vom Rest der Welt unterscheidet. Velvet Underground hatten die Warhol-Banane. Die Einstürzenden Neubauten den Klangschrott. Die Beatles die Mädchen. Franz Ferdinand den Namen. Die Elektropopper von Sensor haben eine Maschine.
Die Morena Bar trinkt sich langsam in den Abend. Sie sind zu dritt. Vor ihnen Bier. Thomas Wagner (Gitarre&Beats) und die Gebrüder Till (Drums) und Thomas Trenkel (Bass) sehen aus wie Jungs, wegen denen Mädels vom Land unbedingt nach Berlin ziehen wollen, weil dort alle Typen so unverschämt schluffig sind. Auf den ersten Blick fürchte ich, mit Sportfreunde-Stiller-Variationen die nächste Stunde durchlächeln zu müssen. Doch dann sagt Wagner: "Es begann alles so, dass ich tagelang mit nem Kumpel in Kneipen philosophiert habe. Wie schafft man es, durch bloße Handbewegungen Töne auszulösen. Raus kam ne Lichtharfe." Dort, wo Indierocker draufsteht, ist manchmal Unglaubliches drin.
Die Geschichte der Band Sensor ist eine Geschichte von der Lust, alle Grenzen zu sprengen. Neues zu schaffen. Thomas Wagner hat schon als Teenager Tonbandcollagen gemacht. Mit einem Rhythmuscomputer, einer kleinen Box aus dem Westen. Dazu hat er Gitarre gespielt, während sein Vater Farbbeutel explodieren ließ. Sein Vater ist Künstler. "Irre und verdammt expressiv", sagt Wagner über Wagner.
2001 traf Thomas auf Thomas und Till. Die kamen aus der Noise-Rock-Ecke. Sie einte ein Ziel: die Clubästhetik mit der Bandästhetik zu versöhnen - Elektrobeats mit dem Rock 'n' Roll. Und weil ihnen das Konzept Gitarre plus Beatbox zu langweilig war, gab's nur eine Möglichkeit: selber machen. Lostüfteln. Das Ergebnis ist mit Leuchtdioden geschmückt, in zwei Salatschüsseln verpackt und wird auf Konzerten von Wagner umkreist, als wolle er eine Zauberkugel beschwören. Der Sensor. Ein Gerät, das es ermöglicht, mit einem bloßen Fingerschnipps sämtliche Synthesizer zu steuern. Der Sensor funktioniert nach einem erprobten Prinzip: "Es läuft wie auf der Herrentoilette. Je näher man dem Becken kommt, desto mehr spült es." Die Herren grinsen. Interessant. "Rock ist ein Scheißwort!", sagt Wagner. "Nö. Rock ist korrekt!", sagt Trenkel. Man spürt: Der Reiz der Band ist Spannung. "Wir sind uns selten einig. Aber das Wichtigste ist, dass du auf der Bühne stehst und etwas losgeht. Dass du die Leute packst, so dass nichts sonst mehr zählt. Das ist Energie. Das ist Rock 'n' Roll. Das ist die Band." Und diese Band ist in letzter Zeit zum Lebensinhalt geworden. Zwar studiert Thomas noch Architektur, arbeitet Wagner als Werbegrafiker und Till als Schauspieler. Doch das Herz gehört der Musik. Seit diesem Jahr sind sie dem Traum vom Musikmachen als Beruf schon ein großes Stück entgegengejagt.
Sie produzierten bei einem kleinen Label ihr Debütalbum. Zehn feine Songs irgendwo im Himmel zwischen Drum 'n' Bass und Gitarrengezwurbel. Die Texte sind deutsch. Mal lakonisch, mal naiv. Mal platt und mal betörend. Es geht um einsame Männer im Café, um internetsüchtige Freundinnen, um das herrliche Luder Pop und darum, dass Träumer die wahren Realisten sind. Dazu groovt ein schräger satter Bass und tanzt eine Surfgitarre im Wechsel mit melancholischen Sphärenklängen.
Ihr einzigartiger Sound überzeugte Anfang des Jahres die Talentschnüffler vom f6 Music Award. Sensor gewannen den zweiten Platz unter Hunderten von Bands. Standen auf der Bühne der Columbiahalle inmitten von Konfettiregen und Sprühfontänen. Es lief "We are the champions". Die Teenies wollten ihre Popdröhnung. Und Sensor fühlten sich fehl am Platz. "Wir sind kommerziell problematisch, weil wir uns nicht einordnen lassen", sagt Wagner. "Ist doch gerade geil!", sagt Till.
Sensor haben eine Mission. Weltverzauberung. Und keine Zeit zu verplempern. Wagner blickt ernst unter blonden Strähnen: "Das Leben ist kurz. Wenn man nicht reinhaut, dann geht es: Zack. Und tot biste." Dann grinst er. Ausgeschlossen, Männer, denke ich. Davor müsst ihr noch die Kunst mit dem Pop versöhnen. Dafür braucht man feine Sensoren. Ihr packt das.

 


www.klangware.de, 29.09.04

INTERVIEW - SENSOR - Elektro-Rock aus Berlin
Von mk

Hier findet ihr einen kurzen Artikel + Interview mit Thomas Wagner, in dem er einige Fragen bezüglich SENSOR beantwortet (Was auch sonst???). Das Interview besteht aus mehreren Audio-Streams, die ihr euch anhören könnt.

 


retrosynthese.de, 10.06.04

Sensor im Lovelite

Manche Bands überraschen bei einem Live Konzert, doch es gibt wenige Bands, die Live so überzeugen, wie Sensor es an diesem Samstag tat. Eine Musik die jeden Sinn berührt, unverwechselbar Variabel überzeugt und teilweise an einen Hauch von Pulp Fiction erinnert. Endlich kann wieder gepogt, das Tanzbein geschwungen und mit dem Kopf genickt werden. Eine Mischung aus Elektro Trash Pop mit deutschen Texten, die zum zitieren einladen. zb:

Hallo wie gehts / Mir geht es gut und dir / Danke bestens / So oder so ähnlich sprachen wir / Und bemerkten gleich / Bei aller Höflichkeit / Einfach schweigen hätte auch gereicht // Die Frage die sich stellt ist die Frage aller Fragen / Warum in aller Welt hat man sich nichts zu sagen ...

Ich stand also im Lovelite und genoss den Liveauftritt der Jungs. Zugegeben, ich hatte keine großen Erwartungen und kannte die Band bis dato auch gar nicht. 4 € Eintritt und ein nicht sehr rockendes Publikum. Da stand ich also, mit einem Bier in der linken Hand, in der Menge und meine Füße gaben keine Ruh. Sie begannen zu tanzen, mein Kopf wippte. Es war bitter heiß und da ich nicht gerade groß bin, versuchte ich immer wieder in der erdrückenden, mitfiebernden Menge einen Blick auf die Band zu werfen, was mir auch hin und wieder gelang, süß sahen die drei ja schon aus und genoss jedoch schon bald deren Klänge und tanzte einfach nur noch. Kein Song glich dem anderen, die Musik floß ineinander, doch jeder neue Song überzeugte mit konstruktiver Abwechslung, so dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kam. Irgendwann stand ich mit meiner Meinung und innerlichen Stimmung nicht mehr alleine da. Um mich herum begannen die Menschen zu rocken und ich genoss einfach nur noch das Konzert.

Live überzeugen die 3 Berliner Jungs mit einer amüsanten Bühnenshow, die die Halle ins Schwitzen bringt. Ihre Musik wickelte das Publikum um den Finger und animierte jedes Körperteil und jeden Sinn und bleibt elegant und ohne Verwechselbar zu klingen in der Ohrmuschel kleben.

Sicherlich ist die Musik von Sensor Geschmacksache. Doch welche Musik nicht. Zuhause hab ich mir noch in der Nacht das Album zum Einschlafen angehört. Am nächsten Morgen wieder und wieder und jetzt seid ihr dran.

 


tagesspiegel, 04.06.04

Strom aus der Dose
Sie heißen wie ein Instrument, das es nicht gibt: Sensor aus Berlin spielen E-Gitarre und Computer
Von Sebastian Handke

Thomas Wagner wohnt in Berlin-Friedrichshain. Dort sind die Wohnungen günstig, das kommt ihm gelegen. So hat er sich, unweit des Lovelite-Clubs, gleich zwei Wohnungen im selben Stock genommen. Wagner wohnt mit sich selbst Tür an Tür. Eine Wohnung ist ihm einfach nicht genug. Und er selbst genügt sich auch nicht.

Seine Band Sensor, die morgen Abend im Lovelite ihr Debütalbum "Sensor" vorstellt (singdeutsch / SPV), ist im Grunde so, wie er wohnt. Eigentlich machen sie in klassischer Triobesetzung (Gitarre, Bass und Schlagzeug) deutschsprachigen Poprock mit heiter-ironischen, manchmal etwas simplen Alltagstexten. Da geht es um das Feierabendverhalten etablierter Paare ("Was für ein Glück/ Wir lehnen uns entspannt zurück"), die Tücken der Kommunikation ("bei aller Höflichkeit/ einfach Schweigen hätte auch gereicht") oder die Schwerkraft ("drei Sekunden bleib ich auf der Erde/ drei Sekunden, länger geht zu weit").

Doch zu hören ist auch elektronische Musik. Gitarre, Bass und Schlagzeug erreichen das Ohr nicht unverfälscht: Sie werden durch Synthesizer und Computer geschleift, manipuliert und sequenziert. Sie ziehen gewissermaßen in eine andere Behausung um, benachbart zwar, aber eben doch von dem ehrlichen Zuwerkegehen einer Rockband getrennt.

In Berlin haben derzeit eine ganze Reihe Bands - von Peaches bis zu Tarwater, Mondo Fumatore und Contriva - mit dieser elektronisch aufgefächerten Pop-Strategie viel Erfolg. Und auch Sensor scheinen diesem Fusion-Trend zu entsprechen, der die E-Gitarre mit dem Computer aussöhnt. Thomas Wagner und die Brüder Till und Thomas Trenkel durchliefen eine nicht untypische musikalische Sozialisation. Vom Noise- oder alternative Rock fanden sie in den Neunzigern den Weg zur Elektronischen Musik. Ein Song wie "Surfen", inspiriert vom ausführlichen Internetkonsum von Wagners Lebensgefährtin, ist denn auch ein köstliches kleines Stück, das Drum'n'Bass-Zitate verbindet mit dem Klang der Twang-Gitarre, wie sie Anfang der Sechziger und im Surf-Beat verbreitet war. "Surf ist schneller Rock'n'Roll, Drum'n'Bass ist doppelt schneller Hiphop", sagt Wagner. "Das passt doch gut zusammen, oder?"

Dennoch: Die Stil-Zitate sind nur historisierte Facetten eines insgesamt einheitlichen Klangbildes. Das liegt daran, dass Thomas Wagner seine Elektro-Sounds zu Hause ertüftelt und sich dann mit Laptop zu den anderen beiden in den Probenraum begibt. "Da wird das Ganze in der Luft zerrissen, auseinander gefetzt, neu arrangiert und spielbar gemacht."

Unverwechselbar ist vor allem Thomas Trenkels prägnanter Bass, der von einem modularen Synthesizer aufgeraut und zerhäckselt wird, bis ein knarzig-schmutziger Sound entsteht, der nichts zu tun hat mit dem billigen Fiepen, das im Elektropunk von Bands wie Mia so gerne verwendet wird. Mit deren rotziger Attitüde haben Sensor nichts gemein - und widerlegen so auch den verbreiteten Irrtum, dass man entweder Punk machen oder niedlich sein muss, wenn man als Berliner Musik macht.

Wesentlichen Anteil am eigenständigen Klang von Sensor hat ein stilles viertes Mitglied, das nicht auf der Bühne steht. Per Salzwedel ist der Maschinenbauer von Sensor. Er entwickelte das Gerät, das Sensor seinen Namen gab: einen "Sensor" eben. Der erlaubt es, die Elektronik auf der Bühne mit bloßen Handbewegungen zu steuern - ähnlich einem der Ur-Instrumente der elektronischen Musik: dem Theremin. Sensor haben die Technik erweitert, mit bunten Leuchtdioden versehen und in zwei Plexiglasschüsseln verpackt, die von Thomas Wagner beim Konzert bearbeitet werden als wolle er eine magische Kugel beschwören. Sensor wollen, dass auch die elektronischen Anteile ihrer Musik, die sich für gewöhnlich in anonymen Synthesizer- Konsolen verbergen und automatisch abgerufen werden, so weit es eben geht im Moment entstehen - und das soll man auch sehen.

"Es reicht nicht, wenn man einfach nur auf Play drückt", sagt Wagner. Warum er, der Kunst studierte und auch hätte Maler werden können, die Performance so wichtig nimmt, offenbart ein kleiner Yamaha-Synthesizer, der ein wenig achtlos an der Wand seines kleinen Heimstudios steht. Die Tastatur ist mit kleinen und großen Farbklecksen bespritzt. Diese stammen keineswegs von dem riesigen Öl-Gemälde, dass direkt darüber hängt, sondern von seinem Vater, dem Künstler Jürgen Wagner. Mit ihm veranstaltete der Sohn unter dem Namen "Herr Blum" einst wilde Actionpaintings mit Musik. Wagner über Wagner: "Der ist irre der Mann".

Auch wenn bei Sensor-Konzerten das Ergebnis nicht so stark von spontanen Eingebungen abhängt, versteht sich das Trio als Liveband. Sie sind Teil der allgemeinen Hinwendung ehemaliger postmoderner Elektroniker zur "echten Performance", was natürlich ein Widerspruch in sich ist. Aber egal: Das Publikum hat es eben doch gerne, wenn auch auf der Bühne geschwitzt wird, und das wird, da ist sich Thomas Wagner sicher, auch immer so bleiben. "Am Ende spielen sie ja doch wieder alle den Blues."